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„Muslime lachen über zinsfreies Wirtschaften“ - CT-Interview mit Rebecca Schönenbach über das wahrscheinliche Scheitern von Islamic Finance in Deutschland

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CT-Interview mit Rebecca Schönenbach über das wahrscheinliche Scheitern von Islamic Finance in Deutschland

Cover von Büchern zum Thema Islamic Finance (vor allem vom Wiley CH Verlag)

Islamic Finance ist in Deutschland bisher gescheitert. Dies liegt aber nicht an den rechtlichen Rahmenbedingungen hierzulande, sondern an intrinsischen Problemen, sagt Rebecca Schönenbach in einem heute veröffentlichten Diskussionspapier der Stresemann Stiftung. Für Citizen Times sprach Felix Strüning mit der zertifizierten Islamic Finance Spezialistin über einkommensschwache Muslime und zerstrittene Scharia-Gelehrte als Gründe für den ausbleibenden Erfolg sowie die Frage, warum Islamic Finance hier eingeführt werden soll, wenn es wirtschaftlich keinen Sinn macht.

Citizen Times: Frau Schönenbach, Sie sagen, Islamic Finance scheitert in Deutschland. Warum?

Rebecca Schönenbach – Zertifizierte Islamic Finance Spezialistin und Autorin des Stresemann Stiftung Diskussionspapiers.

Rebecca Schönenbach:Weil Nachfrage und Einkommen der in Deutschland lebenden Muslime zu gering ist. Zum einen wird das Interesse an islamischen Finanzprodukten auf maximal 5 Prozent unter den Muslimen geschätzt, das wären in Deutschland also nur circa 200.000 potentielle Interessenten. Interessenten sind nicht gleich  Kunden, vor allem, da islamische Banken für den Kunden in der Regel kostspieliger sind, als konventionelle Banken, einerseits durch den Zinsverzicht, andererseits durch die höheren Gebühren. Da hört das Interesse schnell auf.

Zum anderen ist das Einkommen der Muslime in Deutschland pro Kopf nur sehr gering, nämlich monatlich etwas über 500 Euro. Da ist es gar nicht möglich, viel zu sparen, ob nun auf Scharia-konforme Weise oder nicht. Aus ökonomischer Sicht ergibt sich ein zu geringes Potential, weshalb konventionelle Banken wie die Deutsche Bank, die in islamischen Ländern Scharia-konforme Produkte anbieten, dies in Deutschland mangels Nachfrage ablehnen.

Ok, schauen wir erst einmal auf den Aspekt der sogenannten »Sparquote«. Transferieren die hiesigen Muslime nicht schon gewissermaßen traditionell Unsummen in ihre Heimatländer?

Schönenbach: Tatsächlich hängt das Sparverhalten von der Heimatverbundenheit ab, je mehr sich Migranten ihren Heimatländern verbunden fühlen, desto mehr Geld transferieren sie auch in die Herkunftsländer und desto höher ist ihre »Sparquote« insgesamt. Die Gelder werden nicht nur gespart, oft werden einfach zurückgebliebene Familienmitglieder unterstützt. Diese Transfers als »Unsummen« zu bezeichnen, finde ich übertrieben. Was sich aber sagen lässt, ist das zum Beispiel die türkischen Einwanderer die ökonomische Not der 1960er und 70er Jahre in der Türkei durch ihre Geldtransfers erheblich gelindert haben dürften. Bis 1980 wurden von türkischen Arbeitern in Westeuropa insgesamt rund 13 Milliarden Dollar in die Türkei transferiert.

Je höher jedoch die Verbundenheit zu Deutschland, desto mehr Geld wird auch in Deutschland investiert, meist in Immobilien. Allerdings ist die Sparquote derer, die in Deutschland ihre Heimat gefunden haben, deutlich niedriger als die der »Rückkehrer«.

Und warum gibt es Probleme mit den sogenannten Scharia-Gelehrten, die die Islamic Finance Produkte bewerten sollen?

Schönenbach: Scharia-Gelehrte haben im Rahmen der islamischen Finanzindustrie großen Einfluss, sie bewerten nicht nur, ob ein Produkt erlaubt, »halal«, oder verboten, »haram«, ist, sondern haben das Sagen bei allen Belangen einschließlich Mitarbeiterführung und Strukturierung islamischer Finanzinstitute. Damit würden sie nach der deutschen Bankenregulierung der Führungsebene der Institute zugeordnet und müssten eine entsprechende Qualifikation aufweisen. In der Regel verfügen sie aber nicht über das finanztechnische Wissen und auch nicht über die erforderliche Bankpraxis. Deshalb werden sie oft als Beiräte oder Ethikkommission betitelt, was ihrer Rolle aber nicht entspricht. Das beweisen die Auswirkungen, die ihre Urteile, »Fatwas«, auslösen können.

Einer der bekanntesten Scharia-Gelehrten, Mufti Taqi Usmani, hat 2007 über 80 Prozent der existierenden islamischen Wertpapiere, genannt »Sukuk«, als unislamisch bezeichnet, woraufhin der Markt massiv eingebrochen ist. Diese Rechtsgutachten haben also konkrete Auswirkungen und sie können sich zudem widersprechen. Die Kraft eines Urteils hängt vom Bekanntheitsgrad eines Scharia-Gelehrten ab, die bekanntesten kann man an zwei Händen abzählen, der Markt ist also abhängig von sehr wenigen Männern.

Generell gibt es doch aber große Offenheit seitens der deutschen Finanzaufsicht BaFin bezüglich islamischer Finanzprodukte, manche Bundesländer haben sogar eigene aufgelegt…

Schönenbach: Ja, die BaFin hat wiederholt ihre Offenheit signalisiert. Der ehemalige BaFin-Präsident Jochen Sanio hat allerdings auch darauf hingewiesen, dass die meisten Scharia-konformen Finanzprodukte gar nicht in die Kompetenz de BaFin fallen. Das ist richtig, islamische Banken ähneln von der Struktur eher Handelshäusern, haben mit unserem Bankensystem also wenig gemein.

Sachsen-Anhalt hat 2004 einen »Sukuk« herausgegeben, eine Neuheit in Europa. Das Land hat auf einen Werbeeffekt in der Golfregion für seine eher strukturschwache Region gehofft und daher das Experiment gewagt. Die Entwicklung war teurer als bei herkömmlichen Staatspapieren, anscheinend ist der gewünschte Effekt auch nicht eingetreten, es ist jedenfalls kein Nachfolger geplant. Übrigens hätte die oben erwähnte Fatwa von Taqi Usmani auch diesen »Sukuk« für ungültig erklärt, was stark zur Verunsicherung der Verantwortlichen beigetragen haben dürfte.

Auch von anderen alternativen Wirtschaftsrichtungen erhält das Islamic Finance Zustimmung, weil es angeblich auf Zinsen verzichtet. Geht das denn wirklich, ein Wirtschaften ohne Zinsen?

Schönenbach: Nein. Die meisten islamischen Banken imitieren konventionelle Produkte, Zins heißt dann anders, zum Beispiel Prämie. Wenig überraschend stimmt diese dann mit dem Zinsniveau überein. Ein Kritikpunkt aus islamischer Sicht am Zins ist, dass es eine garantierte Zahlung ist, der Kreditgeber also nicht am Risiko des Kreditnehmers beteiligt ist. Das wird als ungerecht empfunden. Dafür gibt es allerdings schon eine Lösung: Venture Capital. Falls sie es als ungerecht empfinden, Zins auf ihre Anlagen zu bekommen, gibt es auch andere Möglichkeiten. Bei bestimmten Banken in Deutschland wie der EthikBank können Sie auf die Ihnen zustehenden Zinsen verzichten, entweder zu Gunsten der Bank oder gemeinnütziger Projekte. Es steht jedem frei, einen ökonomischen Nachteil in Kauf zu nehmen, dagegen ist nichts einzuwenden. Bisher gab es kein Wirtschaftssystem ohne Zins, egal wie sie den Preis für wirtschaftliches Handeln nennen, Kosten entstehen. Die islamischen Banken sind hier das beste Beispiel, sie haben keinen Weg gefunden, den Zinsmechanismus auszuhebeln.

Ein anderer Grund der Zustimmung zum Islamic Banking liegt in der angestrebten Goldbindung des Geldes, Stichwort Golddinar bzw. e-Dinar. Was halten Sie davon?

Schönenbach: Der Golddinar geht noch über den Goldstandard hinaus, er wäre die Wiedereinführung des Tauschhandels Gold gegen Ware. Das wird in einer Hochleistungsgesellschaft eher ein Hindernis als ein Vorteil sein. Der e-Dinar ist nichts anderes als das Angebot einer Bank, ihr Geld in Gold anzulegen. In beiden Fällen können Sie auch einfach Gold kaufen und damit handeln.

Kritiker des Islamic Banking sagen, dass damit nur die Scharia eingeführt werden soll. Erodiert das Finanzsystem also die Menschenrechte?

Schönenbach: Tatsächlich ersannen die Vordenker das islamische Finanzwesen bewusst in Abgrenzung zur westlichen Welt und ihren Werten, als Weg, ein in allen Aspekten Scharia-konformes Leben zu führen. Dies spiegelt sich in den Aussagen mancher Aktivisten des islamischen Finanzwesens wieder, es wird von einigen als Instrument gesehen, die Islamisierung Europas voranzutreiben. Ist das islamische Finanzwesen als solches akzeptiert und sind auch dementsprechende Gesetzesänderungen durchgeführt, wird dann die Berücksichtigung weiterer Aspekte des Finanzlebens nach islamischem Recht gefordert.

So wird in England jetzt die Umstrukturierung der Rentenansprüche im Sinne des islamischen Versicherungswesens und Erbrechts für Muslime gefordert. Die Pensionen sollen zinsfrei angelegt werden und die Witwen würden den Kindern und Eltern des Mannes nachgestellt, sollen also keinen Anspruch auf Witwenrente mehr haben. Das zeigt ein Problem auf: Wenn sie einen Teil der Scharia akzeptieren, können sie den Rest nicht ignorieren. Er wird genauso eingefordert werden, wie der scheinbar harmlose Teil. Daher rate ich von Änderung jeglicher Regelungen ab, sowohl was die Bankenregulierung betrifft, als auch steuerliche Änderungen. Gegen den Verzicht auf Zinsen, die handelsbasierten Transaktionen und das Vermeiden von Investitionen in bestimmte Produkte wie Alkohol und Unterhaltungsmedien habe ich hingegen gar nichts, all das ist schon jetzt möglich und steht jedem frei. Es wird nur bisher kaum in Anspruch genommen.

Man hört auch den Vorwurf, dass Islamic Finance die Bildung von Parallelgesellschaften fördere, da die sowieso schon nach außen recht abgeschlossenen Wirtschaftskreisläufe unter Muslimen noch hermetischer würden…

Schönenbach: Ein Argument gegen das islamische Finanzsystem ist, dass es innerhalb der muslimischen Gemeinschaft Druck erzeugt, nur Konten bei islamischen Banken zu eröffnen und damit bestimmten Organisationen eine zusätzliche Kontrolle über die Gemeinden verschafft. Solange Muslime in einem säkularen Rechtsstaat leben, haben sie wie alle anderen die Freiheit, Entscheidungen selbst zu treffen und sich gegen Bevormundung zu wehren. Diese Freiheit können und müssen sie selbst in Anspruch nehmen, der Rahmen ist gegeben. Parallelgesellschaften haben auch mit freiwilliger Abschottung zu tun, die Emanzipation der Muslime muss von ihnen selbst aus gehen. Aber beim islamischen Finanzwesen scheint kritisches Denken schon weit verbreitet zu sein. Die meisten Muslime, die ich auf zinsfreies Wirtschaften angesprochen habe, fingen einfach an zu lachen.

Sie können das Diskussionspapier der Stresemann Stiftung als PDF herunterladen.


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